17.04.2013

Der Reiz der Anti-Illusion 5 (Schluss) — Frontal- und Profilansichten

Kinder zeichnen Menschen häufiger in der Frontal- oder Profilansicht als im Halbprofil. Das ist nachvollziehbar, denn Halbprofildarstellungen sind einfach schwieriger zu zeichnen.














In der Frontalansicht findet die direkte Konfrontation mit dem Betrachter statt, Das Mädchen auf dem Bild links beispielsweise sieht uns direkt in die Augen und die gehörnten Tiermenschen auf der Felszeichnung unten zeigen uns ihr Imponiergehabe.

In der Seitenansicht wird dagegen der direkte Bezug zu anderen Figuren auf der Darstellung verdeutlicht. Der Jäger auf der Felszeichnung beispielsweise hat seine Beute fest im Auge.





























Die Seitenansicht ist eine sehr alte Art der Darstellungsform. Berühmt ist natürlich die altägyptische Angewohnheit, die Körper in der Frontalansicht, die Gesichter aber im Profil zu zeigen.

























In Südamerika wurde ebenfalls schon vor langer Zeit die Profildarstellung benutzt, um Begegnungen zwischen Personen unterschiedlichen Ranges darzustellen.


















Im Gegensatz zum Halbprofil wirkt die Seitenansicht stilisiert, elementar, distanziert, aber auch bedeutungsvoll. Wer wichtig ist, wird im Profil dargestellt. Die unwichtigen Drumherumsteher müssen sich mit dem Halbprofil begnügen. Auf diesem Bild des Malers Jacques-Louis David von der Krönung Napoleons und seiner Frau Josephine sieht man das deutlich.


























































Das Profil von Napoleon und seiner Frau Josephine wirkt feierlich, aber auch ein wenig künstlich und arrangiert, während die Darstellung der Umstehenden im Halbprofil die Illusion von Wirklichkeitsnähe erzeugt. In Davids Bild ergänzen sich die Darstellungsformen. Dadurch bleibt ein realistischer Eindruck erhalten.

Wenn aber alle Figuren auf einem Bild im Profil zu sehen sind, verschwindet die Illusion von Wirklichkeitsnähe. Wie auf dieser indischen Malerei.


Der Künstler hat hier einen einigermaßen realistischen Bildraum angedeutet, aber die künstlich wirkende Haltung der Figuren, die alle im Profil zu sehen sind (sogar die Tiere), hebt den Eindruck der Wirklichkeitsnähe auf.
























Noch deutlicher wird das auf diesem Bild, das ich besonders mag.

































Der perspektivisch angelegte Bildraum erzeugt die Illusion von Tiefe. Im Kontrast dazu stehen aber die Figuren. Fast alle sind im Profil zu sehen: Wie lauter kleine Napoleons und Josephines. Das Bild erhält dadurch trotz seines alltäglichen Motivs eine eigenartige Überzeitlichkeit und Feierlichkeit, die mir gut gefällt.

Halbprofile sieht man ja alltäglich, aber die Darstellung im Profil macht aus einer Person etwas Besonderes. In diesem Sinne sagt uns dieses naiv gemalte kleine Bildchen: Jeder ist etwas Besonderes. Das finde ich charmant.

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