28.03.2013

Tolkien-Bildervergleich: Gwahir


J.R.R. Tolkien zeigt den Adlerfürsten Gwahir in einer Szene aus seinem Buch Der kleine Hobbit.

Gwahir hat am Vortag Bilbo, den kleinen Hobbit, und seine Freunde gerettet. Es ist Morgen und im Hintergrund sieht man die Nebelberge.

Das Bild betont Aspekte, die im Buch erwähnt werden, nämlich die Höhe der Felsplattform, auf der die Reisegesellschaft übernachtet hat und die Kälte der Nacht.



Tolkiens Adler wirkt naturgetreu, fast objektiv, ein wenig so, als wäre die Vorlage für ihn aus einem naturgeschichtlichen Buch des 19. Jahrhunderts entnommen, was ich nicht ausschließen würde.

Ein ganz ähnliches Bild findet man beispielsweise in einem Buch von 1880/90.




























Von dem Fantasy-Künstler John Howe gibt es ein vergleichbares Bild, das aus Tolkiens – an naive Malerei erinnernde –Landschaft ein auf Eindruck getrimmtes Bergpanorama macht. Hier wird noch mehr als bei Tolkien die Umgebung betont, man könnte sogar sagen heroisiert. Aber alles ist ein wenig weichgespült. Besonders die Farben wirken viel gefälliger, im Grunde kitschig.

Die Erhabenheit des Adlerfürsten ergibt sich wie bei Tolkiens Bild aus dem Größenvergleich mit den anwesenden Figuren. Die Landschaft im Hintergrund steht für die noch bevorstehenden Abenteuer und regt die Fantasie an. Der Blick schweift.

Bei dem letzten Beispiel ist das nicht der Fall ...




































Auf der Darstellung von Jake Murray fehlen die fantasieanregende Landschaft und auch die Vergleichsfiguren. (Vermutlich handelt es sich um ein Portrait für eine Spielkarte oder etwas ähnliches. Es soll also mit Absicht keine Szene aus dem Buch gezeigt werden.) Murray hat mit anderen Mitteln versucht den Adler größer zu machen und zu heroisieren. So erglänzet im Gegenlicht das gar köstliche Geschmeide einer goldenen Tiara, die der Fürst der Greifvögel auf dem gefiederten Haupte trägt. Tja, wenn man es mag... Seltsam ist hier übrigens auch das rechte Bein. Man hat den Eindruck, der Vogel hat ein menschliches Knie.

27.03.2013

Tolkien-Bildervergleich: Rivendell



































J.R.R Tolkien zeichnete eine ganze Reihe von Bildern zu seinen Romanen Der Hobbit und Der Herr der Ringe. Warum er sie nicht nur als schnelle Arbeitsskizzen und Merkhilfen, sondern auch als ausführliche Aquarelle gemalt hat, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht hatte er tatsächlich an eine Veröffentlichung gedacht. Vielleicht hat er sie aber auch "nur" als Teil der Kultursimulation verstanden, so wie die erfundene Elbensprache, die er für seine Mittelerde-Welt entwickelte. Als (simulierte) Kunstwerke aus einer anderen Welt.

Auffällig ist jedenfalls, dass seine Bilder nicht illusionistisch, sondern sehr stilisiert ausgeführt sind. Das Aquarell von Rivendell oder deutsch Bruchtal hat den Charakter eines Wandteppiches. Während die Birke und die Blumen im Vordergrund direkt von der Seite gezeigt noch Teil des Rahmenornamentes zu sein scheinen, ist der Rest ein Patchworkteppich aus kleinen, aneinander gefügten Farbflicken.

Die allermeisten heutigen Illustratoren finden Tolkiens Zeichnungen wohl etwas zu amateurhaft und unbefriedigend. Die Vergleiche, die ich hier in den nächsten Tagen vorstellen will, zeigen alle die möglichst realistische Illusion einer real existierenden Welt: Mittelerde. Als wollte man Tolkiens Bilder korrigieren, hat man sogar ähnliche Bildausschnitte oder Kompositionen gewählt. Im Fall des Bruchtal-Bildes ist das besonders deutlich.



Das Gemälde von Ted Naismith zeigt Tolkiens Bild als realistische Illusion. Gewissermaßen in "verbesserter" Form, professioneller und wirklichkeitsgetreuer umgesetzt. Ironisch gesagt: Man kann ja von einem guten Autor auch nicht erwarten, dass er auch noch gut malen kann.

Interessanterweise fehlt die ornamentale Birke im Vordergrund, als hätte Naismith erkannt, dass sie nicht unbedingt zum Bild dazu gehört, sondern Teil eines Rahmenornamentes ist. Vorsichtshalber hat er sie dann lieber weggelassen.

Auch wenn Naismiths Bild realistischer wirkt und sicher gut gemalt ist, finde ich, das Tolkiens Aquarell noch einen Schritt über diese Darstellung hinausgeht. Tolkiens Bild ist wie ein Entwurf für einen Wandteppich, der in Rivendell an der Wand hängt. Ein Bild, das selbst aus der Kultur stammt, deren Welt es darstellt. Also nicht bloß eine Vorstellung eines Menschen aus unserer Welt, der sich überlegt hat, wie Rivendell wohl aussehen mag und dabei, vielleicht aus Respekt, den Vorstellungen des Autors Tolkien gefolgt ist, sondern ein Objekt, das aus der anderen Welt zu uns gekommen ist.

Die Zwillingsbrüder und Illustratoren Greg und Tim Hildebrandt hatten in den Siebziger Jahren keine Skrupel, sich weit von Tolkiens visueller Vorlage zu entfernen. Vermutlich kannten sie sie gar nicht.






























Ihre Version von Elronds Haus in Bruchtal folgt einer völlig anderen, einige Jahrzehnte älteren Vorlage aus dem Jahr 1937.





























Hier sehen wir die Elbendame Arwen im fröhlichen Reigen mit Gimli und seinen Zwergenkumpels vor der malerischen Kulissen von Elronds Haus.

Viele weitere Rivendell-Versionen findet man hier.

25.03.2013

Schriftsteller-Zeichnungen


Ich finde es interessant, wenn Schriftsteller zeichnen. Damit meine ich nicht Zeichner, die schriftstellern, wie Walter Moers oder Cornelia Funke, sondern Schriftsteller, die ihre Werke nicht selbst illustrieren, aber trotzdem einen Drang verspürt haben, ihren Charakteren eine visuelle Gestalt zu geben.

J. K. Rowlings Harry Potter hat schon fast das Niveau einer professionellen Illustration. Am besten gefällt mir der kleine Wurf in der Teppichkante vor Harrys rechtem Fuß.






Das Schöne an diesen Zeichnungen ist, dass sie oft nicht ganz perfekt sind, aber mit Leidenschaft und viel Verständnis für den Gegenstand angefertigt wurden. Kein Wunder: Wer wüsste besser über sein Werk Bescheid als der Autor bzw. die Autorin.































Diese Zeichnung von Umberto Eco mit Figuren aus seinem Buch Der Name der Rose gefällt mir
besonders gut. Der alte Mönch in der Vierergruppe unten rechts ist sehr ausdrucksvoll. Lustig finde ich auch die Zeichnung des Abtes, den Eco an den rechten Rand gequetscht hat. Welcher Illustrator würde so etwas wagen. Ob die Zeichnung eine Gedächtnisstütze während der Arbeit an dem Roman war, weiß ich nicht, aber es ist ganz deutlich, dass Eco charakteristische Züge der Figuren einfangen wollte.
Die Zeichnung ist diesem Buch entnommen.


Besonders viel gezeichnet hat J. R. R. Tolkien. Zum Hobbit und zur Herr der Ringe-Trilogie existieren viele Bilder, meistens von Schauplätzen. Tolkiens Zeichnungen tragen zum Teil den Charakter visueller Notizen. Andere Bilder kann man als Illustrationen verstehen wie zum Beispiel diese Darstellung der Hobbit-Höhle. Eine frühe Ausgabe des Hobbit zeigt eine Illustration von Tolkien auf dem Umschlag. 



Tolkiens Bilder mit denen professioneller zeitgenössischer Illustratoren zu vergleichen ist interessant. In den kommenden Tagen werde ich darum einige Bilder von Tolkien zusammen mit anderen Illustrationen zeigen, die jeweils dieselben Motive darstellen.




Eine echte Entdeckung waren für mich vor Kurzem die Bilder von Hugh Lofting zu seinen Kinderbuchklassikern um Dr. Doolittle, den Arzt, der die Sprache der Tiere verstehen kann. 

Loftings Bilder sind zwar liebevoll, aber letztlich recht naiv gezeichnete Illustrationen, die auf den ersten und auch noch auf den zweiten Blick unprofessionell wirken. Das war jedenfalls lange Zeit mein Eindruck. 

Die Komposition dieser Zeichnung (oben) beispielsweise ist irgendwie sperrig. Der Türrahmen wirkt sehr minimalistisch und passt nicht zu dem Detailreichtum der Kleidung (Hosenträgerhalter). Warum ist keine Tür vorhanden, obwohl es ein vergittertes Fenster gibt? Die offensichtlich gut beobachtete Anatomie der beiden Tiere vorne passt nicht zu dem stilisierten Affen. 

Dass sich die Linie des rechten Türrahmens in der Kiste fortsetzt ist ebenfalls ungewöhnlich – ein Illustrator hätte die Kiste mit Sicherheit anders platziert. Und den Schwanz des Affen hätte er sicher auch nicht am Türrahmen enden lassen als wenn er keine Sonne abbekommen dürfte. 

"Fehler" dieser Art finden sich in fast allen Bildern Loftings. Interessanterweise wurden sie aber trotzdem von Anfang an, also seit 1920, als Illustrationen in den Romanen verwendet. 
Sie müssen damals schon einigermaßen avantgardistisch gewirkt haben, denn den Standard amerikanischer Kinderbuchillustration bildeten eher Bücher mit Bildern die so aussahen...



Das Bild stammt aus dem Buch Language Lessons for Little People von John Morrow, erschienen 1912. Eine typische Zeichnung des sogenannten Golden Age amerikanischer Illustrationen, ein von heutigen, realistisch arbeitenden Illustratoren gepriesenes "Zeitalter" das in den Zwanziger Jahren endete. Die Szene ist sehr ähnlich wie die der Lofting-Zeichnung (und übrigens auch wie die der ersten Tolkien-Zeichnung): Man sieht frontal auf eine Raumöffnung mit Figuren im Vordergrund. Und trotzdem ist das Bild völlig anders als Loftings Illustration. Professioneller, wirklichkeitsgetreuer, illusionistischer.

Warum der Anti-Illusionismus in Loftings Bilder trotzdem einen großen Reiz auf mich ausübt, darüber werde ich demnächst einige Blogbeiträge schreiben.

24.03.2013

Doodle



Wenn mein alter Computer lange braucht um große Bilddateien abzuspeichern fange ich nebenher an zu zeichnen...

21.03.2013

Schneeraupe



Dieser Raupe fehlten nur noch die Augen. 
Dann war sie perfekt und konnte sich auf den langen Weg hinauf zum Baumwipfel machen.

20.03.2013

Tübingen-Panorama

Neulich in Tübingen: Ich suche eine schöne Postkarte, aber es gibt nur Winterwunderland-Hölderlintürme oder die offensichtlich nicht auszurottenden Foto-Motive mit dem zu blauen Himmel. So eine Karte, wie diese hier hätte ich mir gewünscht. Gerne mit dem üblichen Lokalkolorit (Neckar, Stocherkähnen und Hölderlinturm), aber zusätzlich auch mit etwas Humor oder einem ästhetischen Mehrwert.

07.03.2013

Flächen und Linien

In den 50er Jahren, davon war bereits in zwei früheren Posts die Rede (1) (2), trennten Illustratoren, Designer und Künstler Strichzeichnung und Farbflächen voneinander. Die Strichzeichnung war nicht mehr nur Konturzeichnung, sondern wurde wie ein Netz aus Linien über farbige Flächen gelegt.

Wenige haben dieses Gestaltungsprinzip so radikal angewendet wie der Maler Fernand Leger – hier ein Bild von ihm aus dem Jahr 1954. Die Zuordnung der farbigen Flächen zu den Teilen der figürlichen Darstellung ist fast nicht mehr möglich. Man hat das Gefühl, dass ein ungegenständliches Bild aus farbigen Rechtecken von einem zweiten Künstler mit einer figürlichen Zeichnung übermalt wurde. Flächen und Linien sind keine Einheit mehr, sondern unabhängige künstlerische Ausdrucksmittel.

02.03.2013

Durchsichtigkeit


Im vorletzten Post hatte ich über Linien und Flächen in Illustrationen der 50er Jahre geschrieben. Linien und Flächen wurden in dieser Zeit manchmal unabhängig voneinander gestaltet. Die Linien des Lampenschirms auf dieser Illustration sind beispielsweise keine Konturlinien für die graue Form darunter. Vielmehr liegen beide Formen unabhängig voneinander auf dem Papier.

Die Strichzeichnung wirkt dabei wie auf eine transparente Folie gezeichnet und etwas ungenau auf die grauen Formen aufgelegt. Diese Durchsichtigkeit ist reizvoll. Sie gibt der Zeichnung eine gewisse Kühnheit und Offensivität. Strich und Fläche passen nicht genau zusammen? Macht doch nichts!

Auf dem Bild unten, ein Entwurf für den Animationsfilm Gerald McBoing Boing, wird das Gestaltungsprinzip der Durchsichtigkeit besonders deutlich.



















Diese Verspieltheit ist heute nicht mehr üblich. Wenn eine Figur vorne steht, verdeckt sie selbstverständlich die dahinter stehenden! Schade eigentlich.